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Kirchengericht:Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
Entscheidungsform:Beschluss
Datum:26.09.2003
Aktenzeichen:VG 09/03
Rechtsgrundlage:§ 38 KVwGG; § 15 Abs. 1 Württ. Kirchenbeamtengesetz
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Abordnung eines kirchlichen Beamten, Dienstliches Bedürfnis, Eilrechtsschutz, aufschiebende Wirkung, Ermessen, Spannungsverhältnis, Wegabordnung und Zuabordnung, amtsentsprechende Tätigkeit

Leitsatz

und Beschluss des Verwaltungsgerichts
der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
vom 26. September 2003

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Leitsatz:

  1. Der Oberkirchenrat kann das Verfahren von Amts wegen einleiten, die Mitwirkung weiterer Stellen ist nicht durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben.
  2. Ein dienstliches Bedürfnis für die Wegabordnung genügt, ein dienstliches Bedürfnis auch für die Zuabordnung ist für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht zwingend notwendig.
  3. Das dienstliche Bedürfnis wird grundsätzlich als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum verstanden.
  4. Bei Vorfragen, die das dienstliche Bedürfnis prägen, kann dem Dienstherrn für verwaltungspolitische und sonstige wertende Einschätzungen ein Beurteilungsspielraum zustehen (sog. Faktorenlehre).
  5. Einzelfall einer verwaltungspolitischen Entscheidung.
  6. Zur Ermessensausübung bei einem Spannungsverhältnis.
  7. Auch eine versetzungsvorbereitende Abordnung kann eine „vorübergehende Abordnung“ im Sinne von § 15 Abs. 1 Württ. Kirchenbeamtengesetz sein.
  8. Die Abordnung eines Kirchenbeamten erfordert die Zuweisung einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit, nicht jedoch eines gleichwertigen Amtes wie bei einer Versetzung.
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Az: VG 09/03
In der Verwaltungsrechtssache
Herr ...
- Antragsteller -
prozessbevollmächtigt:
...
...
gegen
die Evangelische Landeskirche in Württemberg,
vertr. durch den Oberkirchenrat,
dieser vertr. d. d. Direktorin im Oberkirchenrat,
Frau Oberkirchenrätin Rupp,
Gänsheidestraße 4, 70184 Stuttgart
- Antragsgegnerin -
wegen
Abordnung
hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
hat das Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg durch
den Richter am Verwaltungsgericht Dipl.-Theol. Rainer E. Müller als Vorsitzenden
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dieter Eiche als Mitglied mit der Befähigung zum Richteramt
die Pfarrerin Erika Schlatter als ordiniertes Mitglied
den Pfarrer Christian Kohler als ordiniertes Mitglied
den Rechtsanwalt Dr. Dieter Deuschle als nichtordiniertes Mitglied
am 26. September 2003 beschlossen:
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Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
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Gründe:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Abordnungsbescheid des Oberkirchenrats vom 2. Juli 2003 wiederherzustellen, ist gemäß § 38 Abs. 5 KVwGG zulässig, aber nicht begründet.
Die sofortige Vollziehung der Abordnungsverfügung ist formell rechtsfehlerfrei angeordnet worden. Sie ist unter Ziffer IV. der angegriffenen Entscheidung besonders verfügt (§ 38 Abs. 2 Nr. 2 KVwGG) und das aus der Sicht des Oberkirchenrats bestehende besondere kirchliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ist gemäß § 38 Abs. 3 KVwGG schriftlich begründet worden.
Gemäß § 38 Abs. 5 KVwGG kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 2 KVwGG im kirchlichen Interesse besonders angeordnet worden ist. Bei der vom Gericht zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung ist das kirchliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes gegen das Individualinteresse des Antragstellers, zunächst von den Rechtsfolgen der Verfügung verschont zu bleiben, abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, ein wesentliches Kriterium. Erweist sich der Rechtsbehelf bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wahrscheinlich erfolgreich, so wird auch dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu entsprechen sein. Erweist er sich hingegen als wahrscheinlich aussichtslos, so ist darüber hinaus zu prüfen, ob ein besonderes kirchliches Interesse am sofortigen Vollzug besteht.
Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen, da diese nach derzeitiger Beurteilung des Gerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben dürfte und darüber hinaus ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abordnung besteht.
Die mit Wirkung vom 14. Juli 2003 bis einschließlich 13. Juli 2004 erfolgte Abordnung des Antragstellers zum Evangelischen Oberkirchenrat, Dezernat 2 „Kirche und Bildung“, findet ihre Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 1 des Kirchen-beamtengesetzes. Danach kann ein Kirchenbeamter vorübergehend zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit an eine andere Dienststelle seines Dienstherrn.... abgeordnet werden, wenn ein dienstliches Bedürfnis besteht. Vor einer von ihm nicht beantragten Abordnung ist der Kirchenbeamte zu hören.
Beachtliche Fehler formeller Art, die zur Aufhebung der Abordnung des Antragstellers führen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Oberkirchenrat ist für die Abordnungsentscheidung zuständig (vgl. § 4 des Kirchenbeamtengesetzes) und kann das Verwaltungsverfahren von Amts wegen einleiten. Die Mitwirkung weiterer Stellen ist nicht durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben, insbesondere enthält § 3 der Ordnung der Evangelischen Akademie … nur zusätzliche Regelungen für die Besetzung der Stelle des Geschäftsführers der Akademie. Dem Antragsteller ist bei seinen Anhörungen am 19. März 2003 und 18. Juni 2003 Gelegenheit gegeben worden, sich zu der beabsichtigten Abordnung und zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Zwar lässt der Antragsteller geltend machen, er sei vor der Aufnahme einer Aktennotiz vom 19. März 2003 („Führungskrise der Akademie … Zusammenfassende Darstellung“) in die Personalakte nicht gehört worden. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob insoweit ein Verstoß gegen die Personalaktenregelung in § 57 Abs. 3 Kirchenbeamtengesetz vorliegt. Denn für die hier zu treffende Entscheidung genügt es, dass er zu den entscheidungserheblichen Abordnungstatsachen gehört worden ist.
Die Abordnungsentscheidung dürfte sich aber auch materiell als rechtmäßig erweisen.
Es besteht ein dienstliches Bedürfnis für die Abordnung des Antragstellers. Hierbei genügt auf der Tatbestandsebene, dass zumindest für die Wegabordnung des Antragstellers aus der Evangelischen Akademie … ein solches dienstliches Bedürfnis gegeben ist. Ein dienstliches Bedürfnis auch für die Zuabordnung zum Dezernat 2 des Evangelischen Oberkirchenrats ist für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht zwingend notwendig (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. August 1984, BVerwGE 76, 255; bestätigt im Urteil vom 30. August 2001, Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 45).
Das dienstliche Bedürfnis wird als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum verstanden. Allerdings kann bei Vorfragen, die das dienstliche Bedürfnis prägen, dem Dienstherrn für verwaltungspolitische und sonstige wertende Einschätzungen ein Beurteilungsspielraum zustehen (sogenannte Faktorenlehre, ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit dem Urteil vom 25. Januar 1967, BVerwGE 26, 65).
So hat das Bundesverwaltungsgericht in dem am 25. Januar 1967 entschiedenen Fall darauf hingewiesen, dass es sich bei der Besetzung der Posten von Schulräten und Schulleitern um wichtige verwaltungspolitische Entscheidungen handelt, und dass deshalb das Gericht schon in der Bedürfnisstation ohne weitere Prüfung (die einen Eingriff in das verwaltungspolitische Ermessen bedeutet hätte) davon ausgehen kann, dass bei einer etwa erforderlichen Trennung von Streitbeteiligten das dienstliche Bedürfnis für die Versetzung gerade der Klägerin bejaht werden konnte, die Behörde also in diesem Zusammenhang nicht auf die Möglichkeit einer Versetzung des Rektors und des Schulrats als Alternative verwiesen werden durfte; denn die Entscheidung der Behörde, wie sie derartige leitende Stellen besetzen und besetzt halten will, hat das Gericht grundsätzlich zu respektieren.
Bei der vom Evangelischen Oberkirchenrat beschlossenen personellen Neuorganisation der Leitungsebene der Evangelischen Akademie … handelt es sich um eine wichtige verwaltungspolitische Entscheidung im vorgenannten Sinn. Dies gilt auch hinsichtlich des Antragstellers als Geschäftsführer der Evangelischen Akademie. Denn gemäß § 3 Abs. 1 der Ordnung der Evangelischen Akademie … wird die Akademie zwar nur vom geschäftsführenden Direktor und bis zu zwei weiteren Direktoren geleitet, der Antragsteller als Geschäftsführer gehört demnach nicht zu dieser Leitungsebene. Entscheidend ist jedoch, dass gemäß § 3 Abs. 3 dieser Ordnung zumindest die Leitungsaufgabe nach innen vom geschäftsführenden Direktor, den weiteren Direktoren und dem Geschäftsführer gemeinsam wahrgenommen wird. Sie übernehmen jeweils die Verantwortung für bestimmte Aufgabenbereiche nach Maßgabe der Geschäftsordnung. Im Rahmen Ihres Verantwortungsbereichs sind sie weisungsbefugt gegenüber den ihnen zugeordneten Mitarbeitern und pflegen die notwendigen Außenkontakte. Sie sind zur laufenden gegenseitigen Information verpflichtet. In wichtigen Fragen und bei Meinungsverschiedenheiten wird gemeinsam entschieden. Dabei ist Einmütigkeit anzustreben. Wird sie nicht erreicht, entscheidet der geschäftsführende Direktor.
Das dienstliche Bedürfnis für die Neuorganisation der gesamten Leitung der Evangelischen Akademie …l ist in der angefochtenen Entscheidung dargelegt und mit dem Hinweis auf das entstandene tiefgreifende Zerwürfnis begründet worden. Zulässigerweise hat der Antragsgegner dabei nicht auf die Schuldfrage abgestellt, sondern seine verwaltungspolitische Entscheidung auf die von ihm für nicht mehr geeignet gehaltene Art und Weise der Zusammenarbeit im Direktorium insgesamt gestützt. Ergänzend kommt hinzu, dass das Kuratorium der Evangelischen Akademie …, mit dem die Akademieleitung gemäß den §§ 3 und 5 der Ordnung zusammenzuarbeiten hat, die personelle Neuorganisation ebenfalls will. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Kuratorium bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Abordnungsverfügung einen anderen Willen gebildet hätte und etwa eine Lösung, bei der nur die Direktorin H. die Akademie verlässt, für ausreichend hält.
Eine weitere Aufklärung der Vorgänge, die zum Zerwürfnis in der Leitung geführt haben, hält das Gericht deshalb nicht für geboten. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das dienstliche Bedürfnis missbräuchlich behauptet wird, um den Antragsteller gezielt abordnen zu können (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26. Februar 1992, BVerwGE 93, 232).
Schließlich lässt auch die weitere Entscheidung des Oberkirchenrats, den geschäftsführenden Direktor trotz etwaiger eigener Anteile am Versagen der gemeinsamen kollegialen Verantwortung in der Leitung der Evangelischen Akademie … zu belassen, das Bedürfnis für die Abordnung des Antragstellers nicht entfallen. Denn auch insoweit handelt es sich um eine vom Gericht grundsätzlich hinzunehmende verwaltungspolitische Entscheidung, die mit dem Erfordernis eines Mindestmaßes an Kontinuität hinreichend begründet ist.
Die auf Grund des dienstlichen Bedürfnisses getroffene Ermessensentscheidung über die Abordnung des Antragstellers lässt auch in Anbetracht der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gemäß § 46 Kirchenbeamtengesetz keine Rechtsfehler erkennen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird nicht verletzt, insbesondere kommt keine dem Antragsteller weniger belastende, aber im Wesentlichen gleich geeignete Maßnahme in Betracht. Zwar ist es nicht schlechthin ausgeschlossen, dass bei einem Dauerspannungsverhältnis in der Ermessensstation auch das Verschulden eines der Streitbeteiligten zu berücksichtigen ist. Es kann hier aber nicht festgestellt werden, dass bei dem entstandenen Spannungsverhältnis der Antragsteller im wesentlichen nur Opfer schuldhaften Verhaltens anderer Leitungsmitglieder geworden ist, insbesondere dass das Spannungsverhältnis allein (!) durch das Verhalten der Direktorin Frau H. verursacht und aufrechterhalten worden ist (vgl. zu diesem Kriterium Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Januar 1967, a. a. O.).
Bei der Bestimmung der Rechtsfolge der Zuabordnung sind auch die weiteren rechtlichen Vorgaben des § 15 Kirchenbeamtengesetz beachtet worden. Es handelt sich um eine vorübergehende (Abs. 1) Abordnung zu einer anderen Dienststelle des Dienstherrn, deren Dauer ein Jahr nicht übersteigt (Abs. 2). Dass es sich hier um eine versetzungsvorbereitende Abordnung handeln dürfte, steht der rechtlichen Qualifizierung als „vorübergehend“ nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Abordnung selbst als Dauermaßnahme gedacht ist, um die bei einer Versetzung erforderliche Zuweisung eines gleichwertigen Amtes gemäß § 16 Kirchenbeamtengesetz zu umgehen.
Schließlich dürfte auch die dem Antragsteller vorübergehend zugewiesene Tätigkeit rechtlich nicht zu beanstanden sein. Insoweit ist nicht „ein gleichwertiges Amt“ zu fordern wie bei einer Versetzung (§ 16 Kirchenbeamtengesetz), sondern nur eine „seinem Amt entsprechende Tätigkeit“ (§15 Abs. 1 Kirchen-beamtengesetz). Erforderlich ist, dass der dem Antragsteller zugewiesene Tätigkeitsbereich Aufgaben mit enthält, die diesen als seinem Amt im statusrechtlichen Sinn entsprechend kennzeichnen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 1995, ZBR 1976, 144).
Die in der Abordnungsverfügung genannten Tätigkeiten wie eine Controllingtätigkeit für einen großen Schulhausbau, Untersuchungs - und Koordinierungsaufträge im Zusammenhang mit der Logistik - , Häuser - und Küchenkonzeption für die Standorte landeskirchlicher Einrichtungen und Dienststellen nach Umsetzung der Bildungskonzeption, Klärung insbesondere arbeitsrechlichter Fragen in der Umsetzungsphase der zentralen Anstellung der Religionspädagoginnen und - pädagogen, sowie der Verkauf und die anderweitige Verwertung von landeskirchlichen Studierendenwohnheimen dürften Tätigkeiten darstellen, die dem statusrechtlichen Amt eines Kirchenoberverwaltungsrates (Besoldungsgruppe A 14), auch unter Berücksichtigung der bisher inne gehabten Funktion als Geschäftsführer, zumindest noch entsprechen.
Nach allem dürfte sich die angefochtene Abordnungsverfügung im Klageverfahren als rechtmäßig erweisen. Bei dieser Sachlage besteht auch ein besonderes kirchliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abordnung. Hierfür genügt schon, dass an einer raschen Auflösung der Konfliktsituation in der Leitung der Evangelischen Akademie … ein dringendes kirchliches Interesse besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 89 Abs. 1 KVwGG.
gez. Müller
gez. Eiche
gez. Schlatter
gez. Kohler
gez. Dr. Deuschle